ThinKing Juli – Wenn Innovationen in den Himmel wachsen

27.07.2017

 

Der von Werner Sobek entworfene Testturm von thyssenkrupp in Rottweil setzt in punkto Leichtbau neue Maßstäbe und beherbergt revolutionäre Technologien wie den seillosen MULTI Aufzug.

Am Anfang standen kontroverse Diskussionen: würde ein gewaltiger Turmbau das historische Stadtbild Rottweils stören? Bevölkerung und Stadtrat wischten letztlich die Bedenken bei Seite. Und können sich heute über eine echte Attraktion freuen. Die 246 Meter hohe Konstruktion des spektakulären Turms von thyssenkrupp dient dem Test sowie der Zertifizierung von Aufzugsinnovationen und trägt so zu erheblichen Verkürzungen der Entwicklungszeit zukünftiger und bereits in der Konstruktionsphase befindlicher Wolkenkratzer auf der ganzen Welt bei. Trotz der imposanten Höhe wird ein leichtes und filigranes Erscheinungsbild gewahrt. Die Architekten Werner Sobek und Helmut Jahn verkleiden den Betonschaft mit einer Stoffhülle aus Glasfasergewebe, auf 232 Metern Höhe entsteht außerdem die höchste Besucherplattform Deutschlands. In punkto Leichtbau und adaptive Strukturen in der Architektur setzt der Turm neue Maßstäbe. Revolutionär ist auch der MULTI Aufzug: ein seilloses System, das es erstmals überhaupt ermöglicht, mehrere Kabinen im selben Aufzugschacht vertikal und horizontal zu betreiben.

Die Landesagentur für Leichtbau Baden-Württemberg präsentiert diese Innovation mit ihrem ThinKing im Juli 2017. Die Leichtbau BW GmbH gibt mit diesem Label monatlich innovativen Produkten oder Dienstleistungen im Leichtbau aus Baden-Württemberg eine Plattform.

Rottweil als Nabel der Technologie-Welt – zumindest, wenn es um Turmbau und Aufzugsinnovationen geht. Die idyllische Kleinstadt, zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb am Neckar gelegen, wurde vor fast 2.000 Jahren von den Römern gegründet. Ihr Stadtzentrum hat sich seit dem 16. Jahrhundert kaum verändert. Besucher aus ganz Europa strömen nach Rottweil, um die außergewöhnliche Schönheit der „Stadt der Türme“ zu bestaunen. Neben einer großen Auswahl an Kunstgalerien und Kulturangeboten erwartet sie dort nun auch die vielleicht eindrucksvollste Aussicht Deutschlands.


Denn Rottweil ist der Standort für einen hochmodernen Aufzugstestturm, der mit seiner Architektur in einen Dialog mit den historischen Türmen der mittelalterlichen Innenstadt tritt. Nach langem Suchen hatte thyssenkrupp Elevator die Kleinstadt als Standort ausgewählt, unter anderem aufgrund ihrer Nähe zu den knapp 10.000 Ingenieurstudenten der umliegenden Universitäten und Fachhochschulen.


Nie da gewesene Optionen – der revolutionäre, seillose MULTI Aufzug

Die 246 Meter hohe Konstruktion dient dem Test sowie der Zertifizierung von Aufzugsinnovationen und trägt so zu erheblichen Verkürzungen der Entwicklungszeit zukünftiger und bereits in der Konstruktionsphase befindlicher Wolkenkratzer auf der ganzen Welt bei. Mit zwölf Schächten und Fahrgeschwindigkeiten von bis zu 18 m/s bietet der Turm nie dagewesene Möglichkeiten zur Lösung kommender Herausforderungen. Drei Schächte sind für den revolutionären MULTI Aufzug vorgesehen; einem seillosen Aufzugssystem, das es erstmals überhaupt ermöglicht, dank Linearmotortechnologie mehrere Kabinen im selben Aufzugschacht vertikal und horizontal zu betreiben.


Ein Anschauungsbeispiel für die Möglichkeiten des Leichtbaus

Der Testturm selbst ist auch Anschauungsbeispiel für die Möglichkeiten von Leichtbau und von adaptiven Strukturen in der Architektur – zum einen durch sein optimiertes Tragwerk sowie eine multifunktionale Membranhülle, die eine wichtige Rolle bei der Reduzierung thermischer und durch Wind induzierter Lasten spielt. Technologische Innovationen wie ganz neue Aufzugssysteme ermöglichen es künftig zudem, Hochhäuser mit einem schlankeren Kern und mit deutlich reduzierter Masse zu realisieren.


Das tragende System des Turms besteht im Wesentlichen aus einer Stahlbetonröhre. Diese hat einen Außendurchmesser von 20,80 Metern. Ein Sockelgebäude mit einem Durchmesser von 48 Metern unterstützt die horizontale Aussteifung. Windkanalversuche zeigten in einem frühen Planungsstadium, dass die Neigung des zylindrischen Turmschaftes zu Querschwingungen durch die textile Verkleidung alleine nicht vollständig eliminiert werden konnte. Deshalb wurde beschlossen, den Schwingungen mit einem geeigneten Dämpfersystem entgegen zu wirken. Die Wahl fiel auf ein Pendel, das in einem Hohlraum auf 200 Metern Höhe mit rund neun Metern hohen Seilen abgehängt wurde.  Als Pendelmasse dienen Betonplatten, die auf einen Stahlrahmen gesetzt und mittels Hydraulikpressen in ihre Position an den Seilen gehoben werden.


Weltweit einziges Hochhausbauwerk, das gezielt in Schwingung versetzt werden kann

Im Normalzustand ist das Pendel passiv und reagiert nur auf windinduzierte Schwingungen. Das Pendel kann aber auch gezielt dazu benutzt werden, um den Turm in Schwingung zu versetzen. So werden verschiedene Windbelastungen simuliert. Horizontale Auslenkungen am Turmkopf bis zu 200 Millimetern werden ermöglicht. Der Testturm ist somit das einzige Hochhausbauwerk weltweit, das in Schwingung versetzt werden kann, um eine reale Windbelastung zu simulieren.

Der Architekt und Ingenieur Werner Sobek ist überzeugt, eine den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts angemessene Architektur könne nur durch „tiefgreifenden Wandel unserer Art zu bauen" entstehen. „Ein wichtiges Element hierbei ist der Ultraleichtbau – nur damit lassen sich wirklich radikale Einsparungen an eingesetzter Masse und Energie erreichen, etwa bei Herstellung und Transport von Beton." Ziel für Werner Sobek ist das Triple Zero Konzept – die Gebäude verbrauchen nur so viel Energie wie sie selbst aus nachhaltigen Quellen gewinnen, erzeugen keine Emissionen und lassen sich zu 100 Prozent in natürliche oder technische Kreisläufe zurückführen. Werner Sobek: „Das Bauen von morgen muss ressourcengerecht und nutzerorientiert zugleich sein."
 
Diese Einschätzung wird von Dr. Wolfgang Seeliger, Geschäftsführer der Leichtbau BW GmbH, geteilt: „Um die Bedürfnisse der Gesellschaft beispielsweise nach bezahlbarem Wohnraum auch in Zukunft stillen zu können, ist der Leichtbau grundlegende Voraussetzung. Denn unsere Ressourcen sind endlich: so geht uns – kaum glaublich, aber wahr – z.B. der Bausand aus. Hier helfen ganz neue (Bau-) Konzepte. Leichtbauprinzipien können helfen, im System Stadt ganz verschiedene Funktionen – wie Fortbewegung und Baustrukturen – zusammen zu führen. Neue Aufzugtechniken, die durch den thyssenkrupp-Turm symbolisiert werden, machen nun beispielsweise auch Transporte in horizontaler Richtung, z.B. innerhalb einer Fassade, denkbar.“

Internet: https://www.wernersobek.de/projekte/material-de/beton/thyssenkrupp-testturm/